Die mitteleuropäische Veteranenszene scheint, wie die Steiermark, groß genug für zwei gleichzeitige Veranstaltungen im großen Stil zu sein, ohne daß die sich hinsichtlich Fahrzeugmaterials oder Strecken in die Quere kommen. Die eine, eine bekannte Größe, ist die Ennstal-Klassik, die andere, eine Premiere, nennt sich "Tour de Charme" spielte sich gut 100 km weiter südöstlich, nämlich in und um Graz, ab.
Entstanden ist die Idee rund um die Familie Veyder-Malberg, das von 1903 - 1948 ausgetragene Ries-Rennen und die Burgen-und-Schlösser-Fahrt. Ulf von Malberg, der letztere (und die Herkomer-Fahrten) seit vielen Jahren organisiert, ist Sohn eines mehrfachen Ries-Siegers (1925 & 26 auf Austro-Daimler), Motor- und Reisejournalist in München (bei BR, DSF und Eurosport). Sein Neffe ist Chef des Bankhauses der Grazer Wechselseitigen (Capital Bank), was auch einen potenten Sponsor sicher stellt. Zusammen mit einem professionellen Event-Organisator und einigen alten Rallyehasen schaffte man es in weniger als einem Jahr, eine Veranstaltung auf die Beine zu stellen, die - es sei gleich im Vorhinein gesagt - an Glanz, Reichhaltigkeit des Angebotes und Umfang der Betreuung die meisten Rallyes in den Schatten stellte, die wir bislang mitgemacht haben. Nicht nur, daß die Stadt Graz zu umfangreichen Straßensperren bereit war, Hauptplatz und Opernfoyer zur Verfügung stellte, wir konnten auch den Rallyeauftakt im Prunksaal des Schlosses Eggenberg feiern, und im Hof des Priesterseminars fanden zwei große festliche Abende statt. Dazu unbegrenzt Getränke von Red Bull, Carpe Diem, Gösser und Lavazza (bei der herrschenden Hitze sehr nötig) und sozusagen ununterbrochen und meist in Haubenqualität Essen von Do & Co, der österreichischen Koch-Nationalmannschaft und anderen. Dem Namen der Veranstaltung gerecht wurde auch die große meist junge Helfermannschaft, die sich stets freundlichst um die Teilnehmer bemühte, und die "Offiziellen" von ÖAMTC und RRC 13.
Lange Zeit waren wir uns allerdings unklar, wen wir bei dieser Rallye treffen würden - schlußendlich stellte sich heraus, daß vom OÖMVC noch Franz Hofer und Rosa Mayer auf Oldsmobile und Willi und Hansi Treul im Invicta am Start waren, Thomas und Andrea Billisich auf Steyr XII aus Villach, das Ehepaar Urban auf Alvis und etliche andere alte Bekannte aus der Oldieszene. Und dann noch .... also, im Vorkriegssektor war das wohl die, nach aktuellem Liebhaberwert gerechnet, teuerst besetzte Rallye, die je in Österreich stattgefunden hat: 5 (in Worten: fünf) Porsche-Mercedes, vom S bis zum SSK, ließen ihr zwerchfellerschütterndes Donnern hören, dazu noch drei aus der K-Serie (einen davon mit Kaibl-Karosserie), 4 SS 100, zwei Kompressor-Alfas, zwei Aston-Martins, ein Citroën 15 CV, Fords, Morris, ein bißchen Rolls-Royce usw. Die Nachkriegsklasse war von Porsche 356 und Jaguar XK dominiert, mit einem Porsche 550 RS und einem Maserati A6GCS als highlights; alles in allem gut 70 Autos.
Für uns persönlich begann die Rallye allerdings äußerst unangenehm: auf Achse anreisend, verließen wir uns auf den Wetterbericht, der allenfalls mäßige Schauertätigkeit verhieß; also Regen von der Art, die man durch flottes Fahren über die Windschutzscheibe verblasen kann. Was auch bei den gelegentlichen Tropfen zwischen Linz, Hieflau, Eisenerz und Bruck/Mur funktionierte. Plötzlich allerdings knallten wir in eine Wasserwand, als hätte man dem Stubenbergsee den Stöpsel herausgezogen. Viel zu spät, um das Verdeck zu montieren, und kein rettendes Dach einer Tankstelle in Sicht. Wir hatten uns noch nie fürs Autofahren Taucherbrille und Schnorchel gewünscht, aber am 23. 7. 2003 um 15:17 Uhr war es so weit. Und es war wohl mehr dem stabilisierenden Bootsheck des Auburn zu verdanken, daß wir Spur hielten und die Straße nicht in Richtung Leitschiene verließen, als der nicht mehr existierenden Sicht durch beschlagenen Brillen, Regentropfen und beschlagene Windschutzscheibe. Zu allem Überfluß stockte der Verkehr an der Grazer Nordeinfahrt, sodaß das kalte Wasser nunmehr auch unsere Sitzorgane umspülte. Dazu Blitzeinschläge in neben der Straße stehende Strommasten: uns blieb nur die Wahl zwischen Verzweiflung und gelindem Irrsinn; wir entschieden uns für letzteres, wobei sich unsere für die durch ihre verregneten Scheiben fassungslos glotzenden Verkehrsnachbarn höchst befremdliche Heiterkeit bis zum brüllenden Gelächter steigerte, als wir ein großes, noch dazu hell erleuchtetes Plakat erblickten - mit der Aufschrift "Graz geht baden".
Nachdem das Auto in der Garage ausgewrungen war und wir uns im Hotel wieder gründlich aufgewärmt und trocken gelegt hatten, ging es nach Eggenberg zur Eröffnung bei Kerzenschein und Musik.
Am Donnerstag Morgen der erste Start, zuerst nach Stift Rein und dann hinein in die weststeirischen Berge. Bei Schnitten von 36 - 42 km/h mit einer größeren Zahl von teilweise recht hinterhältig konstruierten Sonderprüfungen unbekannter Länge ging es über Edelschrott (wollten wir schon lange mit dem Oldtimer hin!!), Stainz, St. Martin im Sulmtal gut 220 km dahin, bergauf, bergab; ein kurzes Verirren oder ein falsch kalkulierter Tankstop konnte einen schon aus dem Zeitplan der Etappenprüfungen werfen - harte Wertungsfahrt also. Nicht alle Teilnehmer waren damit einverstanden, nicht alle hatten die Chance, den geforderten Gesamtschnitt zu schaffen. Für das "Bläserquintett" von Mercedes und für andere flotte Gefährte wie unseren Auburn natürlich kein Problem, aber unter 50 PS wurde es schwierig. Eine wirklich materialschonende Fahrweise war aber auch für die Stärkeren nicht angebracht (wobei die wohl mit solchen Autos sowieso nicht oberste Priorität genießt). Franz Hofer konnte mit dem Curved Dash ohnedies nur einige Schleifen um Graz ziehen, hatte mit seinem "horseless carriage" aber den Applaus natürlich und verdientermaßen immer auf seiner Seite. Der Freitag (270 km über Mantrach, Kitzeck, Leutschach, Leibnitz, Straden, St. Anna am Aigen) war als fahrerisch leichter angekündigt, aber es entstand definitiv der Eindruck, daß diese Täler, vor 3 Jahren mit dem AVCA längs befahren, diesmal quer genommen wurden: auffi, obi, auffi, obi, 10 - 20 % Steigung. Und rechnen, rechnen, Meilenzähler und Stoppuhr schauen. Very competitive. Der Blick auf die Landschaft blieb die Ausnahme; doch eine besonders eindrucksvolle beim Mittagessen, als Picknick im Schatten eines gewaltigen Klapotetz im Weinberg eingenommen (beim Tscheppe in Leutschach, mit Blick auf die besten steirischen Weinlagen). Geführt wurden wir an den beiden Tagen von umfangreichen, absolut präzisen roadbooks.
Am Samstag stand das Riesrennen, Ausgangspunkt dieser Rallye-Idee, am Programm. Der nahrhafte und getränkespendende "Paddock Club" war vom Zelt am Hauptplatz in die Jugendstilumgebung der Oper übersiedelt, und uns standen Parkplätze am abgesperrten Opernring zur Verfügung. In großer Hitze wurden ein Besichtigungslauf und zwei gezeitete Durchgänge veranstaltet, mit zwei Messpunkten. Ulf von Malberg kommentierte. Die vielen fleißigen Helfer verteilten hektoliterweise Getränke, während wir am LKH-Parkplatz auf den jeweils nächsten Durchgang warteten und in der Sonne bruzzelten. Der Tag endete mit einem gewaltigen Fest im Priesterseminar, neben den rund 250 Rallyeleuten mit einigen weiteren 100 zahlenden oder von den Sponsoren eingeladenen Gästen. Wir wurden mit erstklassigen steirische Weinen und einem nicht nur für diesen Massenbetrieb herausragenden Essen erfreut, und überdies noch durch die Überreichung der Trophäe für den Klassensieg auf der Ries. Moderatorin des Abends war Claudia Stöckl. Der unterhaltsame Ausklang mit einer aus Graz stammenden, nichtsdestotrotz aber sehr echt britisch klingenden Beatles-Imitationsband dauerte bis weit nach Mitternacht.
Der Schlußpunkt war am Sonntag mit der "City-Challenge" angesetzt - klarerweise mit den vielen Straßensperren (Teile des Rings, Herrengasse, Sackstraße, Burggasse etc.) nur an diesem Tag der Woche möglich, aber für die Teilnehmer mit weitem Heimweg und Arbeitsverpflichtungen am Montag doch sehr ungünstig. Bei irgendwas wie 35 Grad bemühten wir uns, in Besichtigungsrunde, später dann Trainings-, Wertungs- und Auslaufrunde mit 40 km/h Schnitt die engen Kurven und die Lichtschranken richtig anzufahren, was uns bei letzteren nicht ganz so gut wie am Vortag gelang. Hofer & Mayer aber genossen auf ihrem Oldsmobile die Runde durch die wunderschöne Stadt noch einmal so richtig. Wir mußten noch bis zum nächsten Tag um unseren 2. Klassen-Gesamtrang zittern, da wir, um nicht in die Nacht zu geraten, uns noch vor der Siegerehrung auf den Weg machten - diesmal aber bei großer Hitze, ohne Regen-, dafür mit vielen Schweißtropfen. Schließlich rief uns am Montag Franz Hofer an, er hätte den Preis für uns entgegen genommen.
Gesamtsieger wurden Günther und Anne Burner auf SS 100 lightweight roadster 1938, gewannen damit auch die Klasse B. Beste der Nachkriegsklasse waren Urs und Brigitta Harnik auf Jaguar 240, 1968, und die Klasse A ging an Schenk/Siegl, Mercedes Benz SSK 1929. Ries-Sieger in B waren Eduard und Martina Haas auf Tatra 57 1934, und in C sowie Gesamtbester in der Berggleichmäßigkeit Walter Pfeffer und Guggi Fenz auf Jaguar E Roadster 1962. Im Rahmenprogramm wurde auch ein Kunstwerk vorgestellt, das aus einem vollständig mit Spiegelstücken verkleideten Porsche 356 besteht, und im Opernfoyer gab es eine tolle Tretautoschau zu bewundern.
Es gibt hunderte Bilder und viele andere Details auf www.tourdecharme.at (Bilder-Galerie) und auf www.capitalbank.at (Menüleiste service - drop-down zu Tour de Charme).
Insgesamt eine hochinteressante Veranstaltung, die allerdings (auch wenn die Strecke zuvor mit einem Tatra 57 getestet worden war) für einen schwächeren Oldtimer eine zu große Herausforderung darstellt. Bei den sportlich Verantwortlichen Richard Kaan und Kurt Sassarak haben einige Teilnehmer deponiert, daß Abkürzungsmöglichkeiten der Strecke und Meßstrecken mit langsameren Schnittvorgaben für schwächere und ältere Fahrzeuge einer auf charmante "Schnauferl" orientierten Veranstaltung gut täten. In der heuer gefahrenen Form ist sie einer Ennstal-Klassik zu ähnlich; eine Rallye, die bei schwierigen und volle Konzentration erfordernden Zeitwertungen einen Schnitt verlangt, der für ein 20 PS-Auto ohne Hetze, Hektik und Gefahr für die mühevoll restaurierte Technik schaffbar ist (wobei einige wahlweise zu fahrende Umwege dafür sorgen müßten, daß auch den Schnellen nicht langweilig wird), fehlt am Markt aber. Mittlerweile wurden die Teilnehmer benachrichtigt, daß die Veranstaltung, die 2004 vom 9. - 12. Juni stattfindet, in der nächsten Auflage besser an Vorkriegsfahrzeuge angepaßt werden wird. Wobei der glanzvolle und aufwendige Rahmen, den Graz und der Veranstalter Günter Lichtner zustande brachten, auch in Zukunft ein gewichtiger und ziemlich einzigartiger Attraktionsfaktor für diese Veranstaltung sein sollte (und in diesem Sinne ist zu hoffen, daß die Begeisterung der Sponsoren anhält).